• Frage: Wie lange kann ein Mensch leben?

    Frage gestellt von Aa an Mihaela, Michael am 18 Feb 2022.
    • Foto: Michael Wessels

      Michael Wessels Beantwortet am 18 Feb 2022: last edited 18 Feb 2022 17:17


      Da ich weder Biologe noch Mediziner bin, kann ich das vermutlich nur sehr begrenzt zufriedenstellend beantworten. Ich versuche mich aber trotzdem mal…

      Soweit ich das aus Gesprächen mit Mediziner*innen weiß, ist der körperliche Organismus nur auf eine begrenzte Lebensdauer ausgelegt. Mein Sohn hat gerade für mich im Guinessbuch der Rekorde nachgesehen, demnach ist der älteste Mensch der Welt bislang 116 Jahre alt geworden. Vermutlich ist aber auch das schon nicht mehr aktuell… Ich könnte mir vorstellen, dass durchaus noch eine gewisse Steigerung möglich ist, vielleicht sogar über 130 Jahre hinaus. Aber irgendwann kommt der Körper vermutlich an seine „natürliche biologische“ Grenze, so dass die Lebenserwartung im Durchschnitt kaum noch steigen wird.

      Zellen altern und auch die menschlichen Organe bzw. das Skelett verschleißen. Mir leuchtet ein, dass beispielsweise Gelenke (Knie, Schultern, Ellenbogen, Finger) bei schwerer körperlicher Arbeit stärker beansprucht und damit abgenutzt werden, als beispielsweise bei Bürotätigkeiten. Das erklärt vermutlich zu einem nicht unerheblichen Teil, warum die Menschen heute deutlich älter werden, als noch vor hundert Jahren: Die Arbeitswelt hat sich deutlich verändert. Während um 1900 noch der Großteil der Menschen in der Landwirtschaft oder Industrie schwere körperliche Arbeiten zu erledigen hatte, arbeiten heute immer weniger Menschen in der Landwirtschaft und Industrie, dafür immer mehr Menschen im Dienstleistungsbereich bzw. im Büro. Weitere Faktoren sind die Fortschritte in der Medizin und Gesundheitsversorgung und vor allem die insgesamt besseren (hygienischeren) Lebensbedingungen der Menschen insgesamt.

      Wenn man sich die Entwicklung der Lebenserwartung in Deutschland ansieht, wird deutlich, dass die Lebenserwartung seit Jahrzehnten kontinuierlich steigt. Mich interessiert in meiner Arbeit besonders, dass von dieser positiven Entwicklung bei der steigenden Lebenserwartung nicht alle Menschen automatisch in gleichem Maße profitieren. Aus verschiedenen Forschungsprojekten wissen wir inzwischen, dass verschiedene Faktoren wie Einkommen, Arbeitsbedingungen, Herkunft (Wissenschaftler*innen sprechen von sozioökonomischem Faktoren) sich auf die Gesundheit und damit auf die Lebenserwartung auswirken. So müssen wir heute leider feststellen, dass es nicht nur regional Unterschiede (z.B. zwischen Großstädten und ländlichen, strukturschwachen Gebieten) gibt, sondern insbesondere auch nach gesellschaftlichem Status. So haben beispielsweise Menschen mit geringem Einkommen oder (langzeit-)arbeitslose Menschen eine kürzere Lebenserwartung als Menschen mit hohem Einkommen oder hohem gesellschaftlichen Status.

      Wenn Ihr Euch damit weiter beschäftigen möchtet, empfehle ich Euch die Daten des Landeszentrums für Gesundheit (LZG). Die findet Ihr unter dem folgenden Link:

      https://www.lzg.nrw.de/ges_bericht/factsheets/lebenserwartung/lebenserwartung/index.html

      (Wenn Ihr dem Link folgt, ist das weiße Gebäude auf dem Foto im Vordergrund das LZG und direkt dahinter, wenn ihr rechts am LZG-Gebäude vorbeischaut, leicht verdeckt durch das LZG-Gebäude, seht Ihr die Gebäude der Hochschule für Gesundheit, an der ich arbeiten darf. Das LZG ist also quasi unser Nachbar!)

      Wenn Ihr auf der Seite nach unten scrollt, findet Ihr eine Landkarte von NRW, auf der Ihr sehen könnt, dass sich die durchschnittliche Lebenserwartung zwischen den einzelnen Landkreisen teilweise deutlich unterscheidet.Daraus könnt Ihr entnehmen, dass die Menschen im Ruhrgebiet (z.B. Dortmund, Bochum, Essen) nicht so alt werden wie beispielsweise die Menschen im Münsterland (z.B. Münster, Coesfeld). Der Unterschied beträgt bei den Männern bis zu 4.1 Jahre! Beispielsweise bis zu -2,3 Jahre unter dem Durchschnitt in Bochum, Essen, etc. bis zu +1,8 über dem Durchschnitt in Coesfeld und Münster. Was das konkret für mich heißt, ist mir allerdings noch unklar, denn ich wohne zwar mit meiner Familie in Münster, arbeite aber in Bochum???? 😉

      Beispielsweise der Unterschied in der Lebenserwartung treibt mich in meiner Arbeit dazu an, in unserem Gesundheitswesen nach den Ursachen für gesundheitliche Ungleichheit zu forschen und zu versuchen, gerade besonders vulnerable, d. h. verletzliche Gruppen (z. B. alte Menschen, Menschen mit körperlichen oder geistigen Beeinträchtigungen, Menschen mit Migrationshintergrund, etc.) zu unterstützen und dafür zu sorgen, dass alle einen möglichst gleichen Zugang zur Gesundheitsversorgung bei uns bekommen.

    • Foto: Mihaela Bozukova

      Mihaela Bozukova Beantwortet am 24 Feb 2022:


      Ergänzend zu Michael’s ausführlicher und spannender Antwort:

      Über die „natürliche biologische“ Grenze, die Michael oben erwähnt, diskutieren Forschende tatsächlich seit Jahren. Gibt es diese Grenze und wenn ja, wo liegt sie? 120, 150 oder doch 200 Jahre?

      Eine Studie aus dem Jahr 2016 kam zu dem Ergebnis, dass Menschen höchstens 125 Jahre alt werden können. Eine Studie, die 2021 veröffentlicht wurde, kam zu einem ähnlichen Ergebnis: 120 bis maximal 150 Jahre kann ein Mensch alt werden. Dieses Alter kann ein Mensch aber nur mit der passenden Genetik und Umwelt und einer Portion Glück erreichen.

      Wie genau die Forschenden diese maximale Lebensspanne bestimmt haben, ist ganz spannend. Sie untersuchten die Geschwindigkeit des Alterns anhand der Anzahl an Blutkörperchen und der täglich zurückgelegten Schritte. Setzt man diese zwei Werte nämlich in Bezug zum Alter, zeigt sich, dass sich der Körper mit zunehmenden Alter immer schlechter regenerieren kann. Die Widerstandsfähigkeit gegenüber Krankheiten, Verletzungen oder Stress nimmt ab. Den Berechnungen der Forschenden ist der Körper nach 120 bis 150 Jahren so gebrechlich geworden, dass der Mensch stirbt.

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