• Frage: Finden Sie Tierversuche in der (medizinischen) Forschung ethisch vertretbar?

    Frage gestellt farm7tet am 23 Feb 2022.
    • Foto: Theresa Suckert

      Theresa Suckert Beantwortet am 23 Feb 2022:


      Das kommt stark auf die Fragestellung an und wie der Tierversuch geplant ist. Tierversuch ist nämlich nicht gleich Tierversuch.

      Gleich vorneweg: Tierversuche müssen in Deutschland (und in der EU) beantragt werden und haben ein sehr aufwendiges Genehmigungsverfahren. Am Ende entscheidet ein Ethikrat darüber, ob der Versuch stattfinden darf. Dieser Ethikrat besteht aus Tierärzten und Medizinern, aber auch aus Menschen, die von Tierschutzorganisationen vorgeschlagen werden. Es entscheidet also ein breites Spektrum an Menschen mit unterschiedlichen beruflichen Hintergründen und Interessen darüber, ob der Tierversuch genehmigt wird. Daher finden in Deutschland in der Regel auch keine unnötigen oder grausamen Versuche statt. Tierversuche für Kosmetika sind z.B. in der kompletten EU verboten (und meiner Meinung nach auch nicht ethisch vertretbar).
      Außerdem muss man sicherstellen, dass die Tiere artgerecht untergebracht sind (ausreichend Platz und Nahrung, passende Temperatur, passender Tag/Nacht Zyklus, Spielzeug gegen die Langeweile) und während des Versuchs strenge Regeln einhalten. Hier kommt ein zweiter Punkt ins Spiel, und zwar die sogenannte „Belastung“. Diese beschreibt, welche „Schmerzen, Leiden, Schäden, schwerer Angst, erheblichen Beeinträchtigungen des Allgemeinbefindens“ (Zitat aus dem Tierschutzgesetz) dem Tier während und durch den Versuch zugefügt werden. Wenn diese Belastung ein bestimmtes Ausmaß überschreitet, muss das Tier schmerzfrei getötet werden. Jeder Versuch muss so geplant werden, dass die Belastung so gering wie möglich ist. Zum Beispiel werden bei Eingriffen wie Operationen die Tiere in Narkose gelegt und anschließend ein passendes Schmerzmittel verabreicht – wie beim Menschen auch.

      Wenn man sich die Geschichte anschaut, versteht man besser, wieso Tierversuche in der medizinischen Forschung Standard sind. Früher musste man die Sicherheit neuer Arzneien nämlich nicht beweisen. Dadurch kam es zu sehr traurigen Vorfällen, bei denen Menschen an nicht sicheren Medikamenten gestorben sind oder sehr schwere Nebenwirkungen erlitten haben.
      Viele Meilensteine der Medizin waren auch nur durch Tierversuche möglich. So wurde zum Beispiel Insulingabe zur Behandlung von Diabetes durch Tierversuche in Hunden entdeckt – davor sind die Menschen an Diabetes gestorben.

      Nun gibt es heute verschiedene Ersatzmethoden für Tierversuche, zum Beispiel Computersimulationen und Zellkulturexperimente. Wichtiger Punkt: Tierversuche werden schon heute soweit möglich durch diese Methoden ersetzt und nur durchgeführt, wenn es wirklich keine adequate Ersatzmethode gibt. Alle Medikamente, die in Tierversuchen getestet werden, wurden vorher in Zellkultur getestet und für vielversprechend angesehen. Bevor man die Wirkstoffe an Menschen gibt, muss man aber sicherstellen, dass die Ergebnisse aus der Zellkultur auch im lebenden Organismus wirken. Beispielsweise können giftige Abbauprodukte entstehen, die Medikamente können das Immunsystem negativ beeinflussen, oder auch einfach nie am Zielort im Körper ankommen und daher wirkungslos sein.

      Das Argument vieler Tierschutzorganisationen ist, dass Tierversuche unnötig sind, weil es schon ausreichend Ersatzmethoden gibt. Dies ist aber meiner Meinung nach nicht der Fall. Ich habe während meiner Doktorarbeit zum Beispiel neben den Tierversuchen auch ein Zellkulturmodell für Gehirn getestet, um bestimmte Fragestellungen zu beantworten. Leider war das Zellkulturmodell dafür absolut nicht geeignet. Das Gehirn ist sehr komplex und funktioniert nur aus einem Zusammenspiel vieler verschiedener Zellen. Wenn man diese aus ihrer gewöhnten Umgebung nimmt und in Zellkultur setzt, dann verhalten sie sich sehr seltsam oder sind nicht überlebensfähig. Die Ergebnisse, die man aus diesen Experimenten erhält, sind also nicht auf den Patienten übertragbar.

      Die Alternativen zu Tierversuchen wäre also, neue Medikamente oder Therapien direkt nach den Zellkulturversuchen im Menschen zu testen oder keine neuen Medikamente mehr zu entwickeln. Beides ist meiner Meinung nach ethisch weniger vertretbar als Tierversuche. Die Entscheidung, ob das Leben bzw. die Gesundheit eines Menschen mehr wiegt als das Leben eines Tieres, muss jede:r Wissenschaftler:in für sich selbst entscheiden. Man muss sich aber bewusst sein, dass ein großer Teil des medizinischen Fortschrittes auf Tierversuchen aufbaut.

    • Foto: Hannah Twarkowski

      Hannah Twarkowski Beantwortet am 23 Feb 2022:


      Das ist eine sehr wichtige Frage, die leider manchmal nicht ausreichend von WissenschaftlerInnen und Forschungseinrichtungen wie z.B. den Universitäten in der Öffentlichkeit beantwortet wird. In der Vergangenheit gab es leider immer wieder Vorfälle mit extremen TierschützerInnen, so dass es schwer wurde transparent mit dem Thema Tierversuche umzugehen. Momentan gibt es glücklicherweise einen Trend dazu wieder offener über das Thema zu reden und klar Stellung zu beziehen: die Forschung benötigt weiterhin Tierversuche und diese sind ethisch vertretbar, wenn alle Regularien klar eingehalten werden!

      Theresa hat schon viele wichtige Aspekte angesprochen und das kann ich voll und ganz so unterschreiben. Ich kann da noch eventuell hinzufügen, dass wir WissenschaftlerInnen nicht nur gesetzlich dazu verpflichtet sind, die Tiere so gut es geht zu behandeln, sondern auch der Erfolg eines Experiments häufig von der Gesundheit des Tieres abhängt. Ich erforsche zum Beispiel das Gedächtnis und nutze dafür Mäuse und Ratten. Wir wissen alle, wie schlecht wir Neues erlernen oder Wissen abrufen können wenn wir z.B. gestresst, übermüdet, hungrig sind oder Schmerzen haben. Das ist bei Tieren nicht anders. Somit will ich, dass meine Tiere im Experiment sich so wohl wie möglich fühlen, damit die Versuche auch wirklich testen, wie gut sich ein gesundes Tier an etwas erinnert und was das Gehirn dabei macht.

      Hier findest du auch noch viele nützliche Informationen zu dem Thema:

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    • Foto: Johannes Köbberling

      Johannes Köbberling Beantwortet am 23 Feb 2022:


      Medizinischer Fortschritt im Sinne von pharmakologischen Fortschritt also neuen Medikamenten im Übrigen aber auch zum Beispiel bei völlig neuen Operationstechniken ist ohne Tierversuche nach wie vor nicht vorstellbar das bedeutet für mich dass ich Sie unter den richtigen Voraussetzungen für sinnvoll und absolut ethisch vertretbar halte.
      Aber lasst mich damit anfangen zu fragen was denn ein radikaler Veganer darf: fast alle heute zugelassenen Medikamente sind durch Tierversuche gefunden worden soll er diese alle ablehnen oder soll er nur zukünftige Medikamente ablehnen die jetzt durch Tierversuche gefunden werden was ist dann in 20 Jahren wenn diese alt sind es ist sehr schwer hier eine saubere Grenze zu ziehen wer wirklich einen so radikalen moralischen Kompass hat dass er keine Tierversuche und überhaupt keinerlei Tierprodukte akzeptieren kann der sollte auf alle Medizin alle Kosmetik auf viele Operationstechniken und dergleichen mehr verzichten neben seiner ethisch einwandfreien Ernährung. Horcht mal bitte tief in euch hinein erst wenn ihr dies bestimmt sagen könnt macht es auch Sinn zukünftige Tierversuche jeder Couleur abzulehnen .
      Heutzutage werden Tierversuche nur noch unter sehr strengen Regularien erlaubt und es werden immer weniger die Medizin wird immer maßgeschneiderter was zur Folge hat dass Tiere und Menschen immer unterschiedlicher werden.Bei Antibiotika ist es einfach: wenn die Bakterien in einem Kaninchen getötet werden können und das Kaninchen überlebt ist die Wahrscheinlichkeit dass das bei Menschen dasselbe ist sehr hoch aber wenn ich ein spezifisches Enzym im Herzmuskel hemmen möchte so ist dieses Enzym beim Kaninchen ein wenig anders als beim Menschen und es gibt sogar bestimmte Proteine die haben im Tieren und Mensch unterschiedliche Funktionen je genauer und zielgerichteter unsere Medizin wird umso schwieriger werden Tierversuche und umso wichtiger werden Versuche mit menschlichen Zellen noch dazu sind Tierversuche extrem teuer es gibt also viele gute Gründe warum die Pharmaforschung so wenige Tierversuche macht wie nur eben möglich.
      Aber was wäre die Alternative? Menschenversuche ist schon historisch gesehen eine absolut gebrandmarktes Wort und das zu Recht aber bevor ein Medikament das erste Mal Menschen gegeben wird sollte man doch einmal zumindest die weitgehende Sicherheit überprüft haben ich glaube sonst würden wir keine Freiwilligen mehr finden für Phase 1 Studien.
      Vielen Tieren in der Pharmaforschung geht es übrigens recht gut, wir haben Hunde mit eingepflanzten elektronischen Blutdruck und Pulsmessern die Kosten jeder so viel wie ein Luxusauto die werden bei uns sehr alt, gut gepflegt und von ihren Tierpflegern gehätschelt wenn diese mal Blutproben geben müssen reichen sie ihr Pfötchen weil sie so gut trainiert sind und bekommen anschließend ein Leckerli.
      Zur Wahrheit gehört aber auch dass es eben die Helden unter den Tieren gibt die für das Gute Sterben müssen. Eben die, die ein Medikament in vielfacher Überdosierung, wir nennen das Sicherheitsabstand bekommen um zu sehen ob es Organschäden an unerwarteter Stelle hervorruft diese Tiere müssen euthanasiert und anschließend in dünne Scheiben geschnitten unter dem Mikroskop untersucht werden hierzu gibt es einfach keine Alternative.
      Jeder der kein strenger Vegetarier ist sollte sich klarmachen wie viele Hühner, Schweine, Kälber für seinen Genuss geopfert werden! Da sind die wenigen Tiere in Versuchen die hinterher möglicherweise Hunderttausenden ein besseres Leben verschaffen sicherlich unser geringeres Übel als Gesellschaft

    • Foto: Manuela Büttner

      Manuela Büttner Beantwortet am 24 Feb 2022:


      Ich arbeite in meiner Forschung sowohl an Ersatzmethoden als auch mit Tieren. Die Ersatzmethoden sind allerdings alle noch in der Erforschung und können noch nicht so eingesetzt werden, dass sie Tierversuche ersetzen. Das wird auch noch lange so bleiben, da der Körper viel zu komplex ist als das das mit anderen Methoden nachgestellt werden kann. Je nach Fragestellung ist es daher nötig Tierversuche zu machen um neue Kenntnisse zu gewinnen. Aber wie bereits von den anderen ausgeführt, ist das nciht mal so eben machbar. Es ist ein aufwendiger Prozess Tierversuche durchführen zu können. Die Menschen die mit Tieren arbeiten müssen zumal gut ausgebildet sein, ohne das ist kein Versuch möglich.

    • Foto: Thomas Kammertoens

      Thomas Kammertoens Beantwortet am 25 Feb 2022:


      Das ist aus meiner Sicht eine ganz schwierige Frage – aber Du hast ja schon viele sehr gute Antworten von meinen KollegInnen bekommen. Ich schreibe Dir meine Sicht auf. Den Verweis auf die Homepage von „Tierversuche verstehen“ kann ich nur unterstreichen – dort gibt es sehr gute Informationen zu dem Thema Tierversuche!

      Es ist eine moralische Frage, die Du stellst nach der ethischen Vertretbarkeit. Ob wir ein Versuch an einem Tier durchführen dürfen, sie ist sehr umstritten und jeder Mensch muss sich dieser Frage, aus meiner Sicht, persönlich stellen. Ich kann also keine allgemeingültige Antwort darauf geben.

      In meinem Gebiet, dem Immunsystem und der Krebsforschung bin ich der Meinung, dass wir hier leider manchmal noch nicht ganz auf Tierversuche verzichten können. Da wir Systeme in denen Milliarden von Zellen über eine Vielzahl von Stoffen miteinander kommunizieren und über lange Zeiten (Tage bis Wochen) Informationen austauschen, noch nicht simulieren können. So müssen wir vermutlich, wenn wir z.B. neue Impfungen, wie zum Beispiel die RNA-Impfung in ihrer Wirkung auf den Säugerorganismus testen wollen – leider neben vielen anderen Tests auch noch Tierversuche machen. Aber es ist sehr gut, dass gegenwärtig auch viel an Alternativmethoden zu Tierversuchen geforscht wird.

      Was aus meiner Sicht sehr wichtig ist, ist das wir uns hier alle gemeinsam gute Regeln und Gesetzte gegeben haben, die uns helfen eine Entscheidung zu finden. In Paragraph 1 des Tierschutzgesetztes steht: keiner darf einem Tier Leid zufügen ohne einen triftigen Grund.

      „Zweck dieses Gesetzes ist es, aus der Verantwortung des Menschen für das Tier als Mitgeschöpf dessen Leben und Wohlbefinden zu schützen. Niemand darf einem Tier ohne vernünftigen Grund Schmerzen, Leiden oder Schäden zufügen.“ (TierSchG § 1)

      Ich bin nur Naturwissenschaftler, muss mich aber diesen moralischen Konflikten stellen – und wir dürfen einen Versuch nur durchführen, wenn es keine andere Möglichkeit gibt eine wichtige Erkenntnis zu gewinnen. Da gibt es zum Glück sehr genaue und aufwändige Verfahren in denen geprüft wird, ob so ein Versuch wirklich gerechtfertigt ist und auch ob das Leiden der Tiere im Versuch so gering wie möglich gehalten werden kann. Hier gibt es ein gutes Verfahren das nennt sich 3R – falls es Dich interessiert lies bei Wikipedia unter https://en.wikipedia.org/wiki/Three_Rs_(animal_research) nach.

      Das Problem an der Sache mit den Tierversuchen ist, dass es ein Dilemma ist da man immer schuldig wird. Wenn man den Versuch macht leiden Tiere (natürlich immer so wenig wie möglich, nach 3R), machen wir den Versuch nicht vergeben wir die Chance Patienten, Menschen oder Tieren zu helfen, die auf dieses Wissen angewiesen sind.

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